Weihnachtsgeschichte von Horst Miersen
Ulrike saß vor dem großen Spiegel und zog sich die dicken, weißen Pelzstiefel an. Dann nahm sie das weiße Christkindkostüm vom Bügel, erhob sich und zog es an. Anschließend setzte sie sich die langhaarige, blonde und lockige Perücke auf den Kopf und setzte als Krönung eine kleine, goldene Krone darauf. Sie blickte in den Spiegel und dachte bei sich: „Wie letztes Jahr – ich mache wieder eine gute Figur als Christkind.“
Sie ging zum PC, drückte die Taste und wartete, bis das Formular mit den Adressen, die sie dieses Jahr besuchen sollte, ausgedruckt wurde. Sieben Häuser standen diesmal auf ihrer Liste, die sie zusammen mit einem Weihnachtsmann besuchen sollte.
Der Weihnachtsmann vom letzten Jahr war zwar nett gewesen, aber ein wenig schüchtern. Er hatte sich nicht einmal getraut, sie länger anzusehen, und von einem längeren Gespräch konnte keine Rede sein. „Mal sehen, wie es dieses Jahr wird“, dachte sie sich.
Ulrike klingelte an der Tür ihrer Nachbarin und rief laut: „Irene, ich bin pünktlich um 19 Uhr zurück!“ Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt, und ihre Nachbarin lächelte ihr zu: „Ja, ja, genau wie jedes Jahr. Beeil dich, ich muss auch noch zur Weihnachtsfeier meiner Eltern.“
Ulrike eilte die Treppe hinunter, sprang in ihr Auto und machte sich auf den Weg zur Vermittlungszentrale.
Zur gleichen Zeit schaute Ulrich auf seine Uhr, ging zum Computer und prüfte die Adressen auf dem Desktop. Acht Häuser standen dieses Jahr auf seiner Liste, die er gemeinsam mit einem Christkind besuchen sollte.
Seinen roten Weihnachtsmantel mit weißem Besatz hatte er bereits bereitgehängt, also musste er nur noch hineinschlüpfen und sich den Bart ankleben. Er setzte die große Brille ohne Gläser auf, nahm die rote Mütze und zog sie sich tief über den Kopf. Dieses Mal wollte er nicht so jämmerlich frieren wie letztes Jahr, deshalb zog er sich zusätzlich die warmen Stiefel an.
Ulrike klingelte an der Tür ihrer Nachbarin und rief laut: „Irene, ich bin pünktlich um 19 Uhr zurück!“ Die Tür öffnete sich einen kleinen Spalt, und ihre Nachbarin lächelte ihr zu: „Ja, ja, genau wie jedes Jahr. Beeil dich, ich muss auch noch zur Weihnachtsfeier meiner Eltern.“
Ulrike eilte die Treppe hinunter, sprang in ihr Auto und machte sich auf den Weg zur Vermittlungszentrale.
Zur gleichen Zeit schaute Ulrich auf seine Uhr, ging zum Computer und prüfte die Adressen auf dem Desktop. Acht Häuser standen dieses Jahr auf seiner Liste, die er gemeinsam mit einem Christkind besuchen sollte.
Seinen roten Weihnachtsmantel mit weißem Besatz hatte er bereits bereitgehängt, also musste er nur noch hineinschlüpfen und sich den Bart ankleben. Er setzte die große Brille ohne Gläser auf, nahm die rote Mütze und zog sie sich tief über den Kopf. Dieses Mal wollte er nicht so jämmerlich frieren wie letztes Jahr, deshalb zog er sich zusätzlich die warmen Stiefel an.
Er blickte in den Spiegel und sagte zu sich selbst: „Du bist eigentlich ein netter Kerl. Mit 35 Jahren darf man das ja wohl noch sagen. Und wer mich nicht mag, der hat eben keinen Geschmack.“
„Aber nun, lieber Ulrich, mach dich auf den Weg zur Vermittlungszentrale, um das Christkind kennenzulernen“, dachte er weiter. „Hoffentlich ist es wieder so ein zauberhaftes Wesen mit langen, kupferroten Haaren wie letztes Jahr. Der einzige Nachteil war damals, dass sie verheiratet war.“
Schüchtern wie er war, hatte er in den zwei Stunden, die viel zu schnell vergangen waren, kaum ein Wort mit ihr gewechselt.
Nun aber genug der Gedanken! Ulrich öffnete die Tür zum Wohnzimmer und rief hinein: „Susanne, pass gut auf Ursel auf! Ich bin um 19 Uhr wieder zurück.“ Dann verließ er schnell das Haus, sprang in seinen Wagen und fuhr mit quietschenden Reifen los.
Ulrike stellte ihren Wagen auf dem Parkplatz vor der Agentur ab. Sie hob ihr Kleid mit beiden Händen hoch und schritt in den Hof. Der Einsatzleiter rief: „Da kommt ja unser letztes Christkind. Es kommt zwar spät, aber es kommt! Jetzt fehlt nur noch der Weihnachtsmann, damit ihr endlich losfahren könnt.“
In diesem Moment eilte Ulrich heran und meinte: „Der Beste kommt immer zuletzt.“ Der Einsatzleiter reichte ihm einen großen Rucksack mit der Bemerkung, dass die Namen aller Kunden auf den Paketen stünden. Außerdem zeigte er zum Hoftor und fügte hinzu: „Jetzt aber schnell, die Kinder warten nicht gerne.“
Nun hatte Ulrich endlich Zeit, das Christkind zu begutachten. Doch bevor er sich genauer umsehen konnte, nahm Ulrike ihn am Arm und zog ihn zum Tor. „Los, Herr Weihnachtsmann, geschaut wird später!“ Gemeinsam gingen sie durch das Tor und standen vor zwei Autos.
Ulrich blieb kurz stehen und konnte seinen Augen kaum trauen. Dieses langbeinige, blonde Christkind sollte heute seine Begleiterin sein? Und diese Stimme – einfach bezaubernd! Ulrike stupste ihn leicht an und fragte: „Mit welchem Auto fahren wir denn jetzt?“ Ulrich riss die Tür seines Wagens auf und meinte, dass sein Wagen etwas höher sei, sodass sie mit ihrem langen Kleid besser einsteigen und sitzen könne. Galant öffnete er ihr die Tür, warf den Rucksack mit den Geschenken auf die Rückbank, setzte sich hinter das Steuer, und sie fuhren los.
Ulrike sah ihn an und dachte bei sich, dass man es mit ihm wohl gut die zwei Stunden aushalten könne. Sie warf ihm noch einen genaueren Blick zu und überlegte kurz: „Vielleicht wären auch drei Stunden nicht zu viel. Er sieht ja ganz manierlich aus.“ Dann rief sie: „Herr Weihnachtsmann, schauen Sie lieber nach vorne! Oder wollen Sie noch vor der Übergabe der Geschenke gegen einen Baum fahren?“ Ulrich lachte und dachte: „Wenn sie nicht so gut aussehen würde, müsste ich nicht so oft hinschauen.“
Dann hielten sie vor dem ersten Haus auf ihrer Adressenliste an. Die Tür wurde geöffnet, und sie traten in das Wohnzimmer ein. Ulrich rief laut: „Hohoho, hier kommen der Weihnachtsmann und das Christkind!“ Ein Junge und ein Mädchen starrten sie neugierig an. Nachdem die Geschenke verteilt waren, fragte Ulrich den kleinen Jungen: „Du bist ja schon ein großer Junge. Was möchtest du denn werden, wenn du groß bist?“ Der Junge antwortete prompt und stolz: „Ich werde genauso wie mein Vater Zahnarzt! Da machen die Patienten immer den Mund auf und können nicht so viel quatschen. Das sagt mein Vater auch immer.“
Ulrike wandte sich an das kleine Mädchen und fragte: „Und du, meine kleine Prinzessin, was möchtest du einmal werden?“ Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort: „Ich will reich sein!“ Alle lachten herzhaft, und die beiden machten sich auf den Weg zur nächsten Adresse.
Diesmal öffnete eine Frau die Tür. Sie traten ein, aber die Stimmung im Haus war irgendwie seltsam. Nachdem sie die Geschenke überreicht hatten, wollten sie noch ein wenig mit den Kindern sprechen, doch der Mann im Hintergrund schaute ständig auf die Uhr, als ob er das Haus schnell verlassen wollte.
Im Wagen sahen sich die beiden an, und Ulrich meinte: „Ich hatte das Gefühl, dass der Mann froh war, dass wir so schnell wieder gegangen sind.“
Ulrike nickte und sagte: „Er wollte wohl noch zu seiner Geliebten. So ein Weihnachten möchte ich nicht erleben.“ Sie machte eine längere Pause.
Ulrich sah sie an und meinte: „Du wirst so etwas nie erleben, denn bei einer Frau wie dir kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann dich jemals verlassen würde.“ Ulrike blickte nur geradeaus und zuckte leicht mit den Schultern.
Wortlos fuhren sie weiter, und bei den nächsten vier Adressen verlief alles wie gewohnt. Dann klingelten sie an einem kleinen Haus, und ein älterer Mann öffnete die Tür und bat sie herein. Drinnen saßen jedoch keine Kinder, sondern nur eine sehr alte Dame in einem Schaukelstuhl. Die Frau sagte: „Sie sind sicherlich erstaunt, dass hier keine Kinder sind. Mein Mann hat die Agentur angerufen und Sie beide für Heiligabend bestellt, damit wir nicht den ganzen Abend allein sind. Nehmen Sie doch bitte Platz. Mein Mann holt gerade eine Flasche Sekt, und wir würden uns sehr freuen, wenn Sie mit uns anstoßen.“
Der alte Herr kam mit der Flasche in der Hand und versuchte, sie zu öffnen. Ulrich sprang auf, nahm ihm die Flasche ab, und mit einem lauten Knall sprang der Korken heraus. Ulrike wollte gerade etwas sagen, doch der alte Herr meinte: „Ich weiß, ich weiß, kein Alkohol, da Sie ja noch fahren müssen. Deshalb habe ich eine Flasche alkoholfreien Sekt besorgt. Trotz der wenigen Zeit, die Sie sicherlich haben, würden wir uns sehr freuen, wenn wir gemeinsam fünf Minuten Heiligabend feiern könnten.“
Sie prosteten einander zu. Ulrike und Ulrich waren sichtlich berührt, als sie die glücklichen, aber auch traurigen Augen des alten Paares sahen. Ganz gerührt verließen die beiden das Haus. Sie saßen noch einen Moment still im Wagen.
Ulrich drehte den Zündschlüssel um, der Wagen sprang an, und langsam fuhren sie zurück zur Einsatzstelle der Agentur. Sie schauten sich an, und Ulrich dachte bei sich, dass diese zwei Stunden viel zu schnell vergangen waren.
Ganz spontan nahm Ulrike Ulrichs Kopf in die Hände und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann sprang sie aus dem Wagen und rief noch: „Und vergessen Sie nicht, Sie haben noch ein Paket im Rucksack!“ Sie lief zu ihrem Auto und fuhr schnell davon.
Ulrich schaute auf seine Armbanduhr und bekam einen Schreck. Es war schon 19 Uhr! So schnell es ging, fuhr er nach Hause, eilte die Treppe hinauf. Dort stand seine Schwester Susanne, die ihn wütend anblickte. Ohne ein weiteres Wort nahm sie die Beine in die Hand und rannte die Treppe hinunter.
Er konnte ihr nur noch nachrufen: „Danke, Susanne, dass du so lange auf mein Urselchen aufgepasst hast.“ Sie drehte sich nicht einmal um und rief nur: „Fröhliche Weihnachten, mein Lieblingsbruder!“
Als Ulrich ins Wohnzimmer kam, weiteten sich seine Augen vor Überraschung. Die elektrischen Kerzen am Weihnachtsbaum brannten, und daneben stand seine Tochter, die wie ein kleines Christkind aussah. „Schau mal, Papa! Susanne und ich haben mein Prinzessinnenkleid mit der schönen Krone vom Fasching herausgeholt!“
„Ich meine, wenn du schon mit einem großen Christkind unterwegs warst, wäre es doch schön, wenn wir beide – du als Weihnachtsmann und ich als Christkind – jetzt gemeinsam Heiligabend bei uns feiern könnten.“
Ulrich war tief gerührt, nahm seine Tochter in den Arm und sagte: „Das werden wir auch heute Abend machen. Aber ich habe im Auto, in meinem Rucksack, noch ein Geschenk für einen kleinen Jungen, und das muss ich noch abgeben. Aber mein Urselchen, mir kommt da eine tolle Idee! Komm, wir ziehen dir jetzt deine weißen Winterpelzschuhe an und fahren gemeinsam – du als Christkind und ich als Weihnachtsmann – zu der Adresse, wo wir das Paket abgeben müssen. Schnell in den warmen Mantel, und dann nichts wie los!“
Sie eilten die Treppen hinunter, immer zwei Stufen auf einmal. Ulrich riss die hintere Tür auf und rief: „Bitte einsteigen, mein Christkindchen, und anschnallen!“ Dann fuhren sie so schnell wie möglich zur angegebenen Adresse.
„Puh, Papa, das ist aber ein tolles Haus!“, sagte Ursel begeistert, als sie ausstiegen. Ulrich nahm den Rucksack, schwang ihn sich über die Schulter, nahm seine Tochter an die Hand, und gemeinsam suchten sie das Türschild. Er überprüfte noch einmal die Adresse auf seinem Zettel und sah: Ja, das war die richtige Adresse.
Sie öffneten die schwere Tür, nachdem der Summerton ertönt war. Im ersten Stock angekommen, sahen sie das Schild: „Hier wohnen die Hässlers.“ Ulrich wollte gerade klingeln, als er bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Wie immer rief er laut: „Hohoho, hier kommt der Weihnachtsmann!“ Ursel rief hinterher: „Und hier kommt auch das Christkind!“
„Kommen Sie nur herein, lieber Weihnachtsmann und liebes Christkind!“, rief eine helle Frauenstimme, die Ulrich irgendwie bekannt vorkam.
Sie betraten den großen, hell erleuchteten Raum. Ein riesiger Weihnachtsbaum mit brennenden Wachskerzen machte das Zimmer besonders gemütlich. Ulrichs Augen wurden groß und größer. Er starrte die junge Frau an und traute seinen Augen kaum – das war doch das kupferrote Christkind vom letzten Jahr!
Die junge Frau trat auf ihn zu und sagte lächelnd: „Na, Herr Weihnachtsmann, sind Sie überrascht? Haben Sie die anderen sieben Adressen heute schon besucht? Hat Ihnen das alte Ehepaar auch leid getan? Und wie schön, dass Sie Ihr Töchterchen mitgebracht haben!“
Ulrich war völlig sprachlos. In diesem Moment kam ein Junge hinter dem Christbaum hervor, sah den Weihnachtsmann und das kleine Christkind an und fragte: „Haben Sie mir gar kein Weihnachtsgeschenk mitgebracht?“
„Aber klar doch!“, sagte das Christkind, griff in den Sack und überreichte dem Jungen das Paket.
Die junge Frau nahm den Jungen an die Hand und führte ihn zu Ulrich. „Das hier ist mein Sohn Ulf, und er hatte die Idee. Aber ich glaube, Sie kennen ihn ja.“ Ulrich sah den Jungen genauer an und sagte erstaunt: „Du bist der Ulf Hässler, der Ulf aus meiner vierten Klasse?“
Der Junge lachte: „Genau, Herr Lehrer, der mit den Problemen in Mathe! Aber meine Mutter hatte ein noch größeres Problem. Als sie letztes Jahr von der Weihnachtsbescherung mit Ihnen zurückkam, hat sie so von Ihnen geschwärmt. Da dachte ich, dass ich mir meinen Lehrer mal etwas genauer ansehen sollte, um herauszufinden, ob er nicht vielleicht gut zu meiner Mutter passen könnte. Also haben wir uns die ganze Geschichte ausgedacht.“
„Nun, schauen Sie mal. Meiner Mutter gehört nämlich die Agentur, und wir haben es so arrangiert, dass Sie wieder der Weihnachtsmann vom letzten Jahr sind“, erklärte Ulf stolz.
Ulrike ging zu einem Schrank und holte eine lange blonde Perücke hervor. „So, Herr Weihnachtsmann“, sagte sie lächelnd, „welches der beiden Christkinder gefällt Ihnen besser?“
Ulrich dachte bei sich: „Wenn ich jetzt einen Spiegel hätte, würde ich wahrscheinlich das dümmste und dämlichste Gesicht der Welt darin sehen.“ Er wollte etwas sagen, aber das doppelte Christkind nahm ihn an die Hand und sagte: „Jetzt wird nicht geredet, jetzt wird erst einmal gegessen.“
Sie schob ihn ins Esszimmer. Ulrich fühlte sich wie ein kleines Kind kurz vor der Bescherung, doch er tat, was man ihm sagte. Er dachte: „Bei einem guten Weihnachtsessen kann man ja später noch ein wenig reden.“ Doch tief in seinem Herzen war ihm klar, dass es kaum besser hätte kommen können.
Ulrike ging in die Küche und rief: „Bitte nehmt schon einmal Platz! Ich habe kleine Tischkärtchen aufgestellt, damit jeder weiß, wo er sitzen soll. Gleich kommt das schöne Weihnachtsessen.“
Ursula ging zum Tisch und schaute, wo sie sitzen würde. Dann lachte sie und sagte: „Schau mal, Papa, alle Tischkärtchen beginnen mit einem U: Ulrich, Ulrike, Ursula und Ulf. Ist das nicht witzig, Papa?“
Ulf beugte sich zu Ulrich, der neben ihm Platz genommen hatte, und flüsterte ihm ins Ohr: „Und keine Angst, sie ist jetzt geschieden. Wir haben meinen Vater in die Wüste geschickt. Nur damit Sie Bescheid wissen.“
Ulrich streckte dem Jungen die Hand hin, und Ulf schlug begeistert ein.
Kurz darauf kam Ulrike aus der Küche mit zwei großen weißen Schüsseln. Sie lachte und fragte: „Und was gibt es heute Abend zu Weihnachten zu essen?“ Die beiden Kinder und Ulrich riefen wie aus einem Mund:
„Knackwurst und Kartoffelsalat!“